München – drin ist, wer reinkommt

Beschriftung

München…

und seine Maximilianstraße seien beides Orte der gepflegten Langeweile – so oder so ähnlich schrieb es mal jemand in einer großen Münchner Tageszeitung. Alles eine Frage der Perspektive. Denn steht man auf einem bequemen Beobachtungsposten, erlebt man kleine und große Inszenierungen, für die man im Kino oder Theater viel Geld bezahlen müsste. Wenn man sich aber sogar einen Hochsitz im Spiel der Eitelkeiten reserviert, in einen guten Drink und ein gutes Essen investiert, bekommt man ein abwechslungsreiches Schauspiel à la München gleich dazu geboten.

Die Maximilianstraße ist bekanntermaßen die teuerste Straße Münchens. Teuer sind nicht nur die Mieten, sondern auch alles, was es dort käuflich zu erwerben gibt. Die Flaneure lassen sich in drei Lager unterteilen: diejenigen, die mit ihrer schwarzen Kreditkarte ohne Limit sorglos einkaufen. Dann diejenigen, die die Straße rauf und runterlaufen, um die Auslagen mit ihren teils obszönen Preisen zu bestaunen. Und dann gibt es noch die, die eine Louis Vi kaufen, um danach mit der übergroßen Tüte im nahegelegenen Restaurant aufzulaufen und der Menge zu zeigen: Schätzchen, ich kann´s mir leisten, ich gehöre dazu. Wozu, ist natürlich Auslegungssache, aber es bewegt sich irgendwo zwischen Reich und Schön.

Aufblasbare Puppen. Der letzte, innovative Schrei. Von Travemünde bis München.

Du…

Betrete ich ein solches Etablissement, tue ich es ohne Label-Tüte aber dafür mit meiner Kreissparkassenkarte. Ach, Attitude ist einfach alles, denke ich mir. Wer will schon protzen, wenn er mit der Allure der Armutsgrenze daherkommen kann. No Balenciaga but brains. Da ich ein treuer Gast bin, wenn ich mich wohl fühle, kennen mich die meisten Servicekräfte – und damit inzwischen auch den Wolf – und begrüßen uns mit Handschlag oder Umarmung. Freundlichkeit und gutes Trinkgeld sind auf lange Sicht eine gute Investition. Man hat ja schließlich einen Ruf und einen Sitzplatz zu verlieren.

Wenn nun die Label-Ketten langsam ihre teuren Türen schließen, die letzte schwarze Amex verbucht wurde, dann trifft sich tout Munich in den umgebenden Etablissements, um sich dort von erschöpfenden Einkäufen, wichtigen Meetings oder dem letzten Skiurlaub in Kitz zu erholen. Betritt man die Örtlichkeit, dann tun die meisten das, was man auch tut, wenn man schließlich dort sitzt: man guckt, wer reinkommt. Da scheißt sich der Münchner nix, wie es so schön heißt hierzulande. Sprich: Diskretion beim Abchecken ist Fehlanzeige.

Schau wia sie schaut.

Bist…

An diesem Abend haben wir Glück: wir finden einen Platz zwischen Bistro und Restaurant. Die Pole Position. Jede und jeder, der irgendwo hin möchte in diesem Etablissement, muss an uns vorbei. Neben uns zwei zauberhafte junge Frauen. Daneben fünf Testosteron Bullen. Drei davon durchtrainiert, im neuen Weekend-Einheitslook von Jogger und Sweater, einer sogar in lautem Pink, darunter alle ein blütenweisses T-Shirt. Der Größte sieht aus wie ein Boss-Model und ist das Alphamännchen der Truppe. Zwei sind eher Marke Waschbärbauch, aber dafür in lässigem dunklem Zwirn.

Uns gegenüber eine aussterbende Spezies: ein junger Mann mit Buch vor der Nase. Aber nicht nur das: er markiert interessante Stellen mit einem Stift und setzt dabei einen überaus vertieften Gesichtsausdruck auf. Garniert wird seine literarische Stimmung mit einem Weinkühler samt edler Spirituose. Zwischen den Bullen und dem Denker sitzt ein schmächtiger Mann samt Freundin mit üppiger Haarpracht. Die Freundin nur ins Handy vertieft und von den Fünfen schon ins Visier genommen. Ihr Begleiter entscheidet sich fürs Zahlen, nachdem er seine Sitznachbarn unsicher gemustert hat. Man will ja schließlich der muskelbepackten Konkurrenz nicht den Weg zu leicht machen. Jetzt freie Sicht auf den jungen Literaten. Welcher mir plötzlich intensiv in die Augen schaut. Oh, denke ich mir, mon Dieux, wie charmant. Um im gleichen Augenblick festzustellen, dass sein sehnsüchtiger Blick jedem weiblichen Wesen gilt, welches des Weges kommt und nicht schielt oder einen Buckel hat. Nun gut, denke ich mir. Aber tricky. Wie hebt man sich von der wohlhabenden Handy-Masse ab – mit Geist und Buch. Immerhin ist unter seinem Kaschmirpulli-Literaten-Look ein durchaus definierter Köper zu erkennen. Seine Dame des Abends dürfte also Glück haben…

Der Schichtführer A. nähert sich den Fabulous Five, männliches Abklatschen und Verabschieden, denn er darf jetzt in den wohlverdienten Feierabend. Man kennt sich. Natürlich. Danach kommt A. zu uns an den Tisch. Wir ratschen über Kind und Kegel und das neue Restaurant seiner Frau. Die Fünf schauen. Tja, der Senioren-Tisch kennt auch wen.

München – hohe Decken, hohe Preise. Aber schee is scho. Und das hier ist einer der schönsten Plätze in München, das Brenner.

Die…

Eine der beiden jungen Damen neben uns schickt sich an, zu gehen. Die Fünfe wittern ihre Chance. Weibliches Wesen, allein zu Haus aka leichte Beute. Man beugt sich schäkernd hinüber, ob sie nicht Gesellschaft bräuchte. Dumm nur: sie braucht sie nicht. Sie lehnt mit klarer Stimme dankend ab. Sie müsse bald zurück nach Frankfurt, da lohne Gesellschaft nicht mehr. Ah, Frankfurt, parliert die Truppe, welche natürlich alle Frankfurt kennen, quasi wie die eigene Westentasche, ist natürlich nix gegen München, aber was will man machen, wenn die schöne Maid nicht in der schönsten aller Städte bleiben will…

Die Menge flutet hin und her. Der Bücherwurm scheint eine zarte Seele und ebensolche Blase zu haben, er wandert oft zur Toilette am anderen Ende des Etablissements. Allerdings vermute ich, dass er seinen Literatenkörper regelmäßig den anwesenden Weibchen zur Begutachtung präsentieren möchte, in der Hoffnung, den Abend doch noch beim gemeinsamen Stöbern in Büchern und Betten abschließen zu können.

Schönste…

Unser Kellner sieht aus wie Bertholt Brecht, nur in modern, mit trockenem Witz und Esprit. Er kommt zu unserem Tisch mit aufmerksamem Service. Unsere Diskussion über die gewünschte Größe des Nachtischs begleitet er mit stoischer Ruhe. Wir einigen uns auf ein Tiramisu mit zwei Löffeln. Ein typischer Frauenwunsch, der Sucht nach Süßem und dem Schuldbewusstsein gegenüber möglichem Hüftgold geschuldet. Kellner und Wolf schauen sich wissend in die Augen.

Eine Gazelle auf ellenlangen Beinen, ebensolchen Absätzen, einer fantastisch frisierten Mähne und einem vereisten Gesicht nähert sich. Gerade als ich Wolf die Augen zuhalten möchte, schwenkt sie direkt an uns vorbei zu den Fab Five. Natürlich: sie ist das Alphaweibchen zum Muskelmännchen Nr. 1. Sie schlägt ihre Beine regungslos übereinander und mit der gleichen Leidenschaft legt ihr Kerl den Arm um sie. Es geht ein klitzekleiner Ruck durch die restlichen Vier. Attraktive Frau am Tisch – man sitzt ein bisschen strammer.

Auf dem Hochsitz.
Münchens teuerste Prachtmeile: die Maximilianstraße.

Aller…

Ein junger Investmentbanker nähert sich der Truppe. Schmal und schmächtig, dafür im gleichen Weekend-Look. Offenbar der Style des männlichen Münchens, um zu zeigen: ich bin gerade out of important office shit. Der Banker wird abgelöst von zwei Männern im schwarzen Kaschmir. Lässig und sicher. Sie setzen sich neben die Waschbärbäuche und bestellen Tee. Die Neuzugänge scheinen unbeeindruckt von Muskeln und Gazelle und fangen an sich über ihre Unternehmen zu unterhalten. Das Alpha-Männchen muss in die Beta-Version zurück, denn die beiden schwarzen Kaschmirpullis machen durch Aura und Arbeit klar: Hirn schlägt Hoden. Digitale Räume, neue Projekte werden unaufgeregt gezeigt und der rosafarbene Pulli scheint zusehends genervt. Inhalt ist nicht so sein Ding. Wovon die zwei genug zu bieten haben. Das aber will Pink Panther nicht akzeptieren und holt zum Schlag aus. Er wechselt seinen Sitzplatz und lässt sich mit einem uneleganten Plumps hinter uns auf der Bank nieder. Dazu schmeißt er seine Füße auf einen Hocker dicht neben den beiden Projektplanern und posaunt los. München sei doch eigentlich total öde und überhaupt, man könne ja gar nichts machen in dieser Scheißstadt.

Mhm, achso, jaja.

Da gehe man ins Rocca (Einschub: Rocca Rivera. Ein Edellokal mit großartigem Interieur und hervorragendem Essen und ebensolchem Service. Das Niveau gilt allerdings nicht immer für die Gäste.), und dann sei ja schon um null Uhr Schluß in dieser Scheißstadt. München sei der langweiligste Scheiß überhaupt. Hey wenn er könne, dann wäre er ja längst weg aus München. Ein Teil des Trupps nickt gelangweilt. Der Projekt-Pulli dreht kurz seinen Kopf rüber, zieht ein wenig Luft durchs rechte Nasenloch und schenkt ihm einen uninteressierten Blick. Aber Pinky lässt nicht locker. Hey, er kenne die ganze Welt. Und ey, er könne allen ganz Europa zeigen, ey. Sie sollen nur sagen, wohin sie wollen und, ey, er kenne jeden Platz. Hauptsache nicht München. Der Raum füllt sich inzwischen weiter mit Landlocken, roten Lackröcken und Schlauchbootlippen. Kinder, die schon längst im Bett sein sollten, vertreiben sich am Tablet müde die Zeit, während ihre Eltern Aperol und Antipasti verkosten.

Unsere Meinung zu den München-Hatern.

Langweiligen…

Als Wolf und ich noch grübeln, warum der München-Hater nicht schon längst aus München und unserer direkten Aura verschwunden sei, und ob es eine Möglichkeit gäbe, ihm dabei behilflich zu sein, öffnet sich die große Eingangstür und herein tritt ein Pärchen. Beide die Achtzig überschritten, groß und mit Grandezza betreten sie den Raum. Er am Gehstock, aber eisern voran mit dem Aussehen eines Baselitz und seine Gattin im exzentrischen Tilda Swinton Kurzhaarschnitt. Teure Tasche, erlesenes und individuelles Outfit. Sie verziehen keine Miene. Sie sind einfach. Da. Ein neues Königspaar hat das Etablissement übernommen und wir überlassen ihnen die Gäste.

Raus in die kalte Luft über die fast leere Maximilianstraße hinüber zum Odeonsplatz, vorbei an dunklen Fassaden und teuren Schaufenstern. Wenig Menschen, hochgeklappte Bürgersteige. München, du bist nicht schillernd und mondän, nicht verrückt und egozentrisch. Du bist dieses kleine reiche Dorf, mit seinen Gasthäusern, wo sich das ganze Leben abspielt, wo alle zusammenkommen, jeder jeden kennt und mit jedem über jeden spricht. Du zeigst im Kleinen große Dramen und umgekehrt. Dein Leben ist eine Bühne, mal Kasperl-, mal Bauerntheater aber immer ganz große Oper. Und wir lieben es.

München, du bist für uns die Schönste.

München – wir lieben dich.

Fotos: Wolf Heider-Sawall

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Comments 6
  1. Herzlichen Glückwunsch zu diesem tollen Blog liebe Susanne. Da werde ich doch immer wieder hinein hauen…. Ich habe lange in München gelebt.

      1. Lächeln für Dich,liebste Susanne..ich fühlte mich mittendrin in dieser herrlich verrückten Schickeria Welt..Dankeschön für dieses Erlebnis..mein Lächeln begleitet mich in den Abend.💓💋

  2. Ach, welch´ Zauber legte sich heute über meinen Grieskram, als ich Deinen Artikel las. Bin immer hin und weg über Deine “Situationskomik-Texte”und bewundere immer wieder dieses Talent, wie Du all das, was ich nur beobachten und denken kann, in kritisch-heitere Texte verwandeln kannst. Gleichzeitig bin ich darüber beglückt dieses ALPHA-Theater nicht mitspielen zu müssen. Es zu beobachten ist jedoch wahrlich, hin und wieder, gleich einem Kabarettabend. Danke für die Heiterkeit, die Du in mich gezaubert hast.
    Gabriella

    1. Liebe Gabriella, was für ein wunderbarer Kommentar! Danke dafür! Die Welt bietet soviel Anlass zu Griesgram momentan, da tut es einfach gut, den kleinen Irrsinn im Alltag zu beobachten und sich daran zu erfreuen. 😉👍🏻

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